Lesestücke DIFFICULTY LEVEL: Mid-Intermediate to Advanced


Fünfter Brief über Leukas-Ithaka:Die Ergbnisse der Ausgrabungen von 1908Ein Lesestück für Fortgeschrittene

von Wilhelm DörpfeldLeukas, im Mai 1909.Über die erfreulichen Resultate einer vierten Ausgrabungs-Kampagne in Leukas habe ich zunächst Ihnen, meine verehrten Freunde und Gönner, zu berichten, die Sie mir durch gütige Gewährung der Mittel die Fortsetzung der Arbeiten in dem homerischen Ithaka ermöglicht und mich dadurch aufs Neue zu herzlichem Danke verpflichtet haben. Dem Berichte gebe ich wiederum die Gestalt eines als Manuskript gedruckten Briefes, des fünften in der Reihe der Briefe, und kann ihn so auch dem weiteren Kreise derer zusenden, die die Entwicklung der Ithaka-Frage und die zur Bestätigung meiner Theorie unternommenen Grabungen bisher mit Interesse verfolgt haben. Das Erscheinen des Berichtes hat sich leider etwas verzögert, weil ich nach Schluss der Arbeiten in Leukas sofort im Herbste 1908 die Ausgrabungen des Archäologischen Instituts in Pergamon leiten musste und im Laufe des Winters nur wenig Zeit hatte für die Bearbeitung der Resultate der privaten leukadischen Grabung. Erst jetzt im Mai, nachdem auch die Ausgrabungen des Instituts in Tiryns und Olympia beendet sind, finde ich einige Ruhetage auf der Insel Leukas, die mir erlauben, den Bericht niederzuschreiben. Er enthält wie im Vorjahre ausser einer Beschreibung der Ausgrabungen und ihrer Resultate noch einen Bericht über die im letzten Jahre erschienene Literatur zur Ithaka-Frage. Dass ich auch eine Schilderung des Besuches Seiner Majestät des Deutschen Kaisers in Leukas und Ithaka in den Brief aufgenommen habe, wird Ihnen gewiss nicht unerwünscht sein. Die Grabungen fanden in den Monaten Juli und August 1908 statt. Die heissen Sommermonate musste ich aus einem doppelten Grunde wählen. Einmal durfte ich die Grabung in Leukas als private Arbeit nur während meines amtlichen Sommer-Urlaubes ausführen, und sodann war für die Tiefgrabungen, die zum Teil im Grundwasser vorgenommen werden mussten, der Hochsommer als Periode der grössten Trockenheit und des tiefsten Grundwasserstandes die günstigste Jahreszeit. (...)

Während wir in den früheren Kampagnen in dem zur Sommerzeit von Fiebern heimgesuchten Dorfe Nidri wohnten, in jenem Hause, das Herr Hauptmann von Marees auf seiner Karte der Ebene von Nidri... als Haus Dörpfeld bezeichnet hat, hatten wir im letzten Teil der Kampagne 1908 den grossen Vorzug, auf luftiger fieberfreier Höhe über der am Eingange des Hafens von Vlicho gelegenen Kapelle der Hagia Kyriaki wohnen zu können. Wir verdanken diese wesentliche Verbesserung unserer Wohnverhältnisse der Gnade Seiner Majestät des Deutschen Kaisers, der mir bei seinem Besuche der odysseischen Inseln ein grosses transportables Wohnhaus (System Döcker) schenkte und uns dadurch zu lebhaftem und dauerndem Danke verpflichtete. Dass Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin mit Ihren Königl. Hoheiten dem Prinzen August Wilhelm und der Prinzessin Victoria Luise von Korfu aus die Inseln Leukas und Ithaka besucht haben, und dass ich die grosse Ehre hatte, den hohen Herrschaften die durch Homer verherrlichten Inseln zu zeigen und zu erklären, werden Sie aus den Zeitungen erfahren haben. Indem ich Ihnen den Verlauf dieser für mich unvergesslichen Reise hier kurz schildere, gebe ich Ihnen zugleich eine Übersicht über die wichtigsten Argumente der Leukas-Ithaka-Theorie. Am frühen Morgen des 4. Mai erschien das Kaiserschiff «Hohenzollern» in Begleitung mehrerer deutschen und griechischen Kriegsschiffe auf der Reede von Santa Maura an der Nordspitze der Insel Leukas. Es war ein prächtiger Frühlingsmorgen. Die Sonne ging über den Bergen Akarnaniens auf und stieg am blauen Himmel empor. Das Meer war spiegelglatt. Nachdem die Schiffe Anker geworfen hatten, begab ich mich mit dem deutschen Generalkonsul Herrn Geheimrat O. Lüders an Bord der Hohenzollern. Ihre Majestäten begrüssten uns aufs Huldvollste und sprachen ihre lebhafte Freude darüber aus, nach der Insel der Phäaken nun auch die Heimat des Odysseus kennen zu lernen. Ich durfte sofort den vor uns liegenden nördlichen Teil der Insel-Leukas erklären. Ich wies hin auf den Sund, der die Insel vom Festland trennt, auf die venezianische Festung Santa-Maura, die vor uns auf der Nehrung lag, auf die heutige Stadt Leukas, deren Häuser jenseits der Nehrung sichtbar waren, und auf die von Ölwäldern bedeckten Hügel der antiken Stadt Leukas. Ich unterliess auch nicht, den in der Feme sichtbaren Eingang des ambrakischen Golfes zu zeigen, die Stelle der berühmten Seeschlacht von Aktium, wo sich das Schicksal des römischen Weltreiches entschied. Die jetzt dort befindlichen türkischen Forts sandten gerade dem deutschen Kaiser ihre weithin hallenden Grüsse übers Meer. Bald wurden die Anker gehoben und in langer Reihe fuhren die stolzen Schiffe an der Westseite der Insel entlang nach Süden. Während des Frühstücks sahen wir die seit vielen Jahrtausenden vom Meere angenagten, hohen weissen Felswände, die der Insel ihren Namen Leukas gegeben haben, sahen auch am südlichen Ende das berühmte Kap Dukato oder Leukatas, von dem nach der Sage Sappho ihren Todesprung ins Meer gemacht hat. Dort oben auf dem weissen Fels hatten wir vor 3 Jahren Ausgrabungen vorgenommen und Fundamente und andere Reste des Apollon-Heiligtums gefunden, das nach der Überlieferung einst hier gestanden hatte.
Unser nächstes Ziel war die Syvota-Bucht, ein ganz geschlossener Hafen an der Südseite der Insel, offenbar identisch mit der Phorkys-Bucht Homers, jenem einsamen, von zwei Vorgebirgen geschlossenen Hafen, in den der heimkehrende Odysseus von den Phäaken gebracht wurde, damit er ungesehen sein Vaterland betreten und seine mitgebrachten Schatze verbergen konnte. Da die «Hohenzollern» wegen ihrer Grösse in dem engen Hafen nicht wenden konnte, stiegen wir alle auf den kleinen «Sleipner» hinüber und fuhren zwischen den Felsen hindurch in den wohlgeschützten Hafen hinein. Wie zur Zeit Homers ist der Hafen noch jetzt von Felsen und kleinen Sandplätzen, von alten Ölbäumen und Tropfstein-Grotten umgeben und sein heutiger Name erinnert uns noch an den göttlichen Schweinehirten Eumaios, denn [das griechische Wort für] Schweinehirt wird heute Syvotis ausgesprochen. Auch auf mehrere Namen der Umgebung konnte ich hinweisen, die von Schweinezucht in alter und neuer Zeit Zeugnis ablegen. Dass der einsame stille Hafen auf meine hohen Zuhörer, als ich ihnen die Verse Homers vorlas, einen grossen Eindruck machte und ihnen die Übereinstimmung zwischen den Angaben des Epos und der Wirklichkeit schlagend vor Augen führte, brauche ich wohl nicht zu versichern. Nachdem wir die Syvotabucht verlassen und den Sund zwischen Leukas und der Nachbarinsel Meganisi durchfahren batten, erreichten wir den in der Mitte der Ostseite gelegenen grössten und besten Hafen der Insel, die 3 Kilometer ins Land hineinreichende Bucht von Nidri oder Vlicho. Hier war die Stelle, wo nach Homer die Stadt Ithaka und das Königshaus des Odysseus gesucht werden musste. Die Angaben des Epos über die Stadt und den Hafen und über ihre Entfernung von dem südlichen Ende der Insel, der Stelle des Hofes des Eumaios, hatten mich mit Bestimmtheit zu der Bucht von Vlicho und zu der neben ihr gelegenen, 3 m Kilometer grossen Ebene von Nidri geführt. Hier hatte ich den Spaten angesetzt und in mehrjähriger Arbeit eine grosse Ansiedelung des 2. Jahrtausends vor Christo nachgewiesen. Die ersten zwei Jahre hatte ich vergeblich nach prähistorischen Ruinen und Vasenscherben gesucht, weil diese Reste unter einer mehrere Meter hohen Kieslage verborgen lagen. Aber der feste Glaube an die Wahrheit der homerischen Angaben, der durch zahlreiche gewissenhafte Beobachtungen bei mir entstanden ist, hat mir den Mut gegeben, die Grabungen trotz des Spottes meiner Gegner fortzusetzen und so die gesuchte Stadt zu finden.
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Da Tausende von Menschen aus der ganzen Insel in Nidri zusammengeströmt waren, um den Deutschen Kaiser zu sehen und zu begrüssen, war eine Landung nicht gut möglich. Eine Besichtigung der Ausgrabungen würde auch nicht lohnend gewesen sein, weil die gefundenen Mauern und Graber fast alle wieder verschüttet worden sind. Ich konnte aber Ihren Majestäten und Ihrem Gefolge vom Schiffe aus sehr gut alles Sehenswerte zeigen. Ich erklärte den vorzüglichen, tief ins Land reichenden Hafen, die zwar kleine, aber reiche Ebene von Nidri mit den durch die Ausgrabung festgestellten vorhistorischen Häusern, Heiligtümern und Gräbern, den die Ebene gegen Norden schützenden Skarosberg, den Neios Homers, und auch das hohe Hauptgebirge der Insel, das homerische Neriton. Ich wies hin auf die Stelle am westlichen Gebirge, wo die Quelle entspringt, deren Wasser schon in prähistorischer Zeit durch Thonrohre in die Ebene hinabgeleitet war und jenen schönfliessenden Laufbrunnen speiste, den Homer (Od. XVII, 204) als das Werk dreier Könige von Ithaka schildert. Auch die Quelle beim Dorfe Neochori, die noch jetzt den Namen «Schwarzwasser» führt, konnte ich in der Ferne zeigen und dazu erzählen, dass wir später weiter unterhalb in der Ebene eine ähnliche Quelle mit schwarzem Erdboden gefunden haben. Während der Erklärung war der «Sleipner» an der Kapelle der Hagia Kyriaki vorüber in den Vorhafen und durch die Enge (Steno) in den Haupthafen hineingefahren und kehrte nun nach kurzem Aufenthalte zur Reede von Nidri zurück wo die «Hohenzollern» mit den anderen Schiffen zwischen den zahlreichen grünen Felseninseln Anker geworfen hatte. Die Tausende von Zuschauern, die am Strande und in den Häusern, auf Segelschiffen und festlich geschmückten Dampfern das seltene Schauspiel genossen, wurden nicht müde, durch Hochrufen und Tücherschwenken ihrer Freude über den hohen Besuch Ausdruck zu geben.

 
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